
Herr Friedrich, wir würden gerne mal testen, wie gut Sie sich mit der Geschichte der Nationalmannschaft auskennen.
Oh Gott!
Wer hat mehr Länderspiele bestritten: Arne Friedrich oder Paul Breitner?
Wenn Sie die Frage so stellen, wahrscheinlich ich.
Richtig. Breitner hat 48, Sie 55. Arne Friedrich oder Karl-Heinz Schnellinger?
Da sag ich – Schnellinger.
Falsch. Schnellinger hat 47. Arne Friedrich oder Gerd Müller?
Gerd Müller hat auf jeden Fall mehr Tore geschossen. Aber das wollen Sie nicht wissen. Dann wohl auch ich, oder?
Das war eine Falle. Müller hat 62. Trotzdem: Sie haben einige Legenden des deutschen Fußballs, Welt- und Europameister, bereits eingeholt. Was sagt Ihnen das?
Ich weiß, dass ich relativ viel Glück gehabt habe. Seit meinem zweiten Bundesligaspiel bin bei der Nationalmannschaft dabei, ich habe keine größeren Verletzungen gehabt. Aber 55 Länderspiele – das ist eine Zahl, auf die ich stolz sein kann. Andererseits: Bastian Schweinsteiger ist 22, der hat schon 47 Länderspiele bestritten. Das ist noch viel unglaublicher.
Zumindest in den Werbespots von Nutella zählen Sie noch zu den jungen Wilden. Müssen Sie da nicht schmunzeln?
Sie meinen, weil ich mit 28 Jahren schon so alt bin? Auf jeden Fall. Das mit den jungen Wilden ist bei mir schon verjährt. Aber ich bin da mittlerweile ein bekanntes Gesicht. Deswegen gibt es keinen Grund, mich auszutauschen.
Ihre Trainer sehen das ähnlich. Egal unter wem Sie bei Hertha und in der Nationalelf gespielt haben, Sie waren stets Stammspieler. Was schätzen die Trainer an Ihnen?
Ich bin eher der defensive Verteidiger, der versucht, seine Seite zuzumachen und die Aufgabe, die er vom Trainer bekommt, zu erfüllen. Deswegen bin ich auch stolz darauf, dass ich mich durchgesetzt habe – trotz der ganzen Kritik, die immer von außen kommt.
Eine Boulevardzeitung hat in dieser Woche die vermeintliche EM-Elf aufgestellt. Ihr Name taucht darin nicht auf.
Das ist ja oft so. Von den Medien werde ich als unfähiger Außenseiter hingestellt. Aber ich weiß, dass der Trainer auf mich baut. Ich habe 55 Länderspiele gemacht, schon deshalb kann die Kritik an mir gar nicht immer gerechtfertigt gewesen sein.
Welche Vorwürfe ärgern Sie am meisten?
Es ärgert mich nicht mehr. Das geht ja schon lange so, dass ich das gewohnt bin. Wichtig ist, dass ich von meinen Trainern und Mitspielern eine positive Resonanz bekomme. Und die bekomme ich.
Liegt die fehlende öffentliche Wertschätzung vielleicht auch daran, dass die Position des Außenverteidigers die unspektakulärste überhaupt im Fußball ist?
Es kommt darauf an, wie man sie interpretiert. Philipp Lahm und Marcell Jansen spielen die Rolle sehr offensiv, dadurch haben sie viele Aktionen vorne, und dadurch sieht ihr Spiel vielleicht spektakulärer und interessanter aus. Ich beschränke mich eher auf die Defensive, wahrscheinlich falle ich deswegen nicht so auf.
Bei Hertha wollten sie unbedingt von der Außen- in die Innenverteidigung rücken. Glauben Sie, dass Sie dort eine größere Wertschätzung erfahren werden?
Darum geht es nicht. Mir liegt diese Position etwas besser. Ich kann innen mehr Einfluss nehmen, auch verbal. Wenn du als Außenverteidiger nach vorne gehst, hast du kaum die Möglichkeit, hinten noch die Abwehr zu organisieren. Außerdem bin ich zweikampfstark, das kommt in der Innenverteidigung zum Tragen.
Sehen Sie sich in der Nationalmannschaft als Stammspieler in der Viererkette? Oder eher als erster Ersatzmann, der zum Einsatz kommt, weil immer jemand ausfällt?
Ich sehe keinen Grund, mich als Ersatzmann zu fühlen. Ich weiß, dass ich mir bei Joachim Löw sehr großes Vertrauen angespielt habe. Er hat mir gesagt, dass ich seine Anweisungen immer sehr gut umsetze. Gegen Zypern hätte ich auch gespielt, wenn Marcell Jansen sich nicht verletzt hätte.
Was können Sie von der Nationalmannschaft in den Verein transferieren?
Sehr viel: das Prinzip der Trainer, ihre klaren Vorgaben, das flache, vertikale Spiel, auch taktische Dinge, die wir im Verein umsetzen wollen. Lucien Favre und Jogi Löw sind schon sehr gleich in ihrer Auffassung vom Fußball. Favre versucht gerade, sein System bei uns an den Mann zu bringen. Dass das noch längst nicht so klappt wie bei der Nationalmannschaft, ist ganz klar. Favre probiert noch sehr viel, die Qualität der Spieler in der Nationalmannschaft ist viel größer, und gerade die jungen Spieler bei Hertha müssen sich erst noch umstellen.
Hat sich Hertha unter Favre der Nationalmannschaft angenähert?
Vom System her auf jeden Fall. Das merkt man im Training. Taktische Dinge, das richtige Verschieben zum Beispiel, wiederholen wir ständig. Im Verein hängt einem das schon fast aus dem Hals raus, wenn man das über Wochen eigentlich jeden Tag macht. Aber es hilft, wenn man es immer wieder trainiert.
Fragt Favre Sie, wie Löw bei der Nationalmannschaft trainiert?
Nein. Falko Götz hat immer mal wieder nachgefragt, Lucien Favre nicht. Das finde ich aber auch gut, weil er seinen Stil hat. Nicht jeder Trainer muss sich die Nationalmannschaft zum Vorbild nehmen.
Hertha befindet sich in einer Art Findungsphase. Ist die Nationalmannschaft mehr denn je der Ort, an dem Sie Ihre internationalen Ambitionen befriedigen können?
Auf jeden Fall. Ich habe in meiner Karriere noch keinen Titel geholt. Deswegen setze ich meine Hoffnung darauf, dass es in Kürze mit der Nationalmannschaft passiert. Wir wollen Europameister werden. Das ist schon ein etwas anderes Pflaster als Hertha. In den vergangenen Jahren haben wir zwar immer mal im Uefa-Cup gespielt, aber gewonnen haben wir nichts.
Wie viele Enttäuschungen gestehen Sie Hertha noch zu?
Das hat nichts mit Zugestehen zu tun. Ich möchte bei Hertha dazu beitragen, dass etwas entsteht. Ich bin sehr optimistisch, dass wir mit Favre mittelfristig einiges erreichen können. Dann wird auch in Berlin alles ein bisschen positiver aussehen.
Können Sie sich denn vorstellen, im Sommer als Europameister nach Berlin zurückzukehren und dann mit dem Verein wieder nicht international zu spielen?
Wenn ich wirklich Europameister werde, hätte ich kein Problem damit, auch nächstes Jahr nicht im Uefa-Cup zu spielen